Wie ein junger Mann den Teufelskreis der Gewalt durchbrach
Jhon Maicol ist ein junger Bewohner eines Viertels im Osten von Cali im Distrikt Aguablanca. In diesem Stadtteil leben die meisten Menschen in sehr einfachen Verhältnissen und arbeiten nur informell (Tätigkeiten, die nicht offiziell registriert sind und ohne gesetzliche Regelungen wie Steuern, Sozialversicherung und Arbeitsgesetze erfolgen). Jhon lebt dort gemeinsam mit seiner Mutter, zwei Geschwistern, seiner Partnerin und seinen drei Kindern.
Er ist offen, hilfsbereit und redet gern mit anderen. Sein Lächeln verrät mehr, als Worte ausdrücken können. Hinter ihm liegt ein Weg, den er weit hinter sich gelassen hat, ohne jemals zu vergessen, woher er kommt. Mit nur zwölf Jahren begann er, psychoaktive Substanzen zu konsumieren. Er war noch ein Kind, kannte aber bereits die Härte der Straße. Er brach die Schule ab und geriet in sehr gefährliche Situationen. Mit siebzehn Jahren wurde er zum ersten Mal angeschossen. Eine Kugel in seiner Blase hielt ihn rund drei Monate im Krankenhaus. Danach kehrte er nach Hause zurück und kämpfte sich durch die Genesung. Einige Zeit später wurde er erneut durch Schüsse schwer verletzt und musste wieder mehrere Monate im Krankenhaus bleiben. Er überlebte, wurde entlassen und zog wieder zu seiner Mutter und seinen Geschwistern.
Einige Jahre später traf es ihn wieder. Drei Schüsse brachten ihn an die Grenze zwischen Leben und Tod. Vier Monate kämpfte er um sein Leben. Er wurde wegen einer Lungeninfektion isoliert und mit Thoraxdrainagen und Tracheotomie behandelt. Alles wirkte wie ein Kreis aus negativen Ereignissen, der ihn immer wieder an denselben Punkt zurückführte.
Im selben Jahr startete im Hospital Universitario del Valle das Präventionsprojekt „Transformando el Círculo de Violencia“ (Den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen) unter Federführung von Diego Posade, einem Kunsttherapeuten, mit dem Montebellos Kinder bereits seit Langem zusammenarbeitet. Diego lernte Jhon Maicol auf der Männerchirurgie kennen. Sein Zustand war kritisch, doch in seinen Augen lag die klare Bitte nach einem Neuanfang. Teil des Programms ist der Besuch der Genesungsstationen. Dabei wird den Patient*innenen vorgelesen oder unter Anleitung Raum gegeben für Musik, kreative Aktivitäten und Zeit zum Zuhören.
Obwohl er sich nur mit Mühe bewegen und nicht sprechen konnte, hob er jedes Mal die Hand, wenn das Therapeutenteam an seinem Isolationszimmer vorbeiging. Und immer war jemand da, der ihm Zeit und Energie schenkte. Seitdem begleitet Diego mit seinem Team Jhon Maicol auf seinem Weg. Wie für viele andere Jugendliche im Programm schenkt ihm der Abstand zu Gefahr und Gewalt Kraft und Motivation.
Nach seiner Entlassung erfolgte wie bei allen Teilnehmenden ein wöchentlicher Hausbesuch. Ziel war es, sein familiäres und soziales Umfeld zu stärken und gemeinsam ein gesundes und erreichbares Ziel im Leben aufzubauen. Sein Konsum von psychoaktiven Substanzen reduzierte sich von täglich mindestens sechs verschiedenen Drogen auf nur noch eine, drastisch.
Mit 25 Jahren schloss er die Schule ab, nachdem er auch den Schulstoff aus der Grundschule nachgeholt hatte. Das war schwer, doch im Rahmen des Programms „Transformando el Círculo de la Violencia“ bewies er sich und zeigte, dass Veränderung mit Willenskraft und dem Glauben an eine andere Zukunft jenseits eines gewaltgeprägten Umfelds möglich ist. Nun ging er einmal pro Woche ins Krankenhaus, aber nicht mehr als Patient, sondern als Stütze für andere. Er tat es gern. So erfüllte er eines der wichtigsten Programmziele, nämlich selbst ein Teil der Lösung zu werden.
Kurz darauf wurde Jhon Maicol vom Hospital Universitario del Valle als Betreuer angestellt. Jener Ort, der ihm mehrfach das Leben gerettet hatte, wurde zu seinem Arbeitsplatz. Sein Enthusiasmus und der unbändige Wille, etwas Besseres aus seinem Leben zu machen, machten ihn auch unter dem medizinischen und administrativen Fachpersonal der Klinik zu einem bekannten und geschätzten Kollegen.
Später absolvierte er eine Ausbildung zum Bäcker, ein lang gehegter Wunsch, da das Kochen und Backen ihm schon immer viel bedeutete. Heute arbeitet Jhon Maicol in einem Lebensmittelbetrieb. Der Wandel ist sichtbar. Er widmet sich seiner Familie, seinen eigenen Projekten und seiner sozialen Verantwortung. Sein Leben zeigt, was möglich wird, wenn ein Mensch nicht aufhört, an sich zu glauben.

