Manuel Sierra ist Initiator des Orchesterprojektes InCrescendo in dem abgelegenen Örtchen Sincé jenseits von Infrastruktur und Bildungschancen, das Montebellos Kinder e. V. unterstützt. Im August und September 2019 war er in Deutschland unterwegs, um Unterstützer für sein Orchesterprojekt zu finden und Formen des musikalischen Austauschs einzuleiten.
Manuel – kannst du dein Projekt für Jugendliche kurz beschreiben?
In CRESCENDO, ist ein Programm, das das individuelle Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung mittels Musik fördert. Wir haben es vor sieben Jahren mit dem Ziel initiiert, Kindern und Jugendlichen in Sincé positive Entfaltungsmöglichkeiten für ihr Leben zu bieten.
Unser Weg ist die Musik mit Fokus auf individueller Förderung. Die musikalische Ausbildung ermöglicht Kindern die Entwicklung wichtiger Verhaltensweisen und Werte: Disziplin, Teamarbeit, Engagement und Verantwortungsbewusstsein. Sie fördert Respekt, Selbstachtung und Vertrauen. Mit diesen Grundlagen werden sie in die Lage versetzt, sich persönlich weiterzuentwickeln und in dem von ihnen gewählten Berufsleben erfolgreich zu sein.
Warum befindet sich das Projekt in Sincé?
Sincé ist meine Heimatstadt. (Sincé, offiziell San Luis de Sincé, ist eine Gemeinde (municipio) mit ca. 35.000 Einwohnern im Departamento Sucre im Norden Kolumbiens. Anmerk. MoKi) Ich hatte keinen Zugang zu musikalischer Bildung, aber das Glück, Eltern zu haben, die mir Bildung und Werte vermittelten. Damit gehörte ich einem sehr kleinen Prozentsatz meiner Gemeinde an. Für mich war es inakzeptabel, dass 50 Jahre später diese grundlegenden Möglichkeiten immer noch nicht existierten und der Verlust ethischer Werte in der Gesellschaft gefährlich zunahm.
Alle Kinder haben Talente und können Disziplin, Lebenskompetenzen und gute Gewohnheiten erlernen. Nur fehlte ihnen eine kompetente Anleitung – die Kinder waren sich selbst überlassen. Für mich war es eine Verpflichtung zur Solidarität, woraufhin ich selbst aktiv wurde und ich begann, entsprechende Angebote zu entwickeln.
Welche Rolle spielt Montebellos Kinder für Dein Projekt?
„Moki“ ist für uns ein „Verbündeter“ auf einem entfernt liegenden Kontinent geworden. Sie glauben an unsere Arbeit. Sie haben erhebliche finanzielle Unterstützung geleistet. In den letzten vier Jahren hat der Verein dazu beigetragen, unsere Angebote für die Kinder aufrechterhalten zu können. Sie haben uns ihre Solidarität spüren lassen und dadurch unser Engagement gestärkt. Besonders durch das Gefühl, dass unsere Kinder wichtig für sie sind.
Wie verlief der erste Kontakt zu Unterstützern aus Deutschland?
Die ersten Förderer waren die Deutsche Botschaft und das Goethe-Institut in Kolumbien. Wir hatten von den Förderprogrammen der Bundesregierung für Kolumbien gehört und baten um Unterstützung. Nach einer Evaluierung und mit Kenntnis unserer Aktivitäten und Leistungen entschieden sie sich, uns zu unterstützen. Dann trafen wir über einen Freund aus Deutschland, der unser Projekt schätzt und bewundert, auf den Verein Montebellos Kinder.
Für welche Teile eures Projekts ist Unterstützung besonders dringlich?
Der derzeit kritischste Bereich ist die Bezahlung unserer Lehrer und Workshopleiter.
Unser unmittelbarer Traum ist ein eigenes Gebäude, in dem wir unsere Kinder und Jugendlichen adäquat ausbilden können. Das ist eine weitere große aktuelle Herausforderung. Auch dafür suchen wir nach Unterstützern, die mit uns gemeinsam etwas bewirken wollen.
Wir benötigen regelmäßig Mittel für unsere Betriebs- und Verwaltungskosten: Den Kauf von Instrumenten und deren Zubehör, die Organisation von Orchesterreisen und Auftritten, die Bezahlung von Dienstleistungen und die Unterstützung von Musikstudenten an der Universität, die aus sehr einfachen Verhältnissen stammen.
Wir bieten stets Trinkwasser und gesunde Snacks an, um die Grundversorgung zu gewährleisten und die Teilnahme zu ermöglichen. Auch hierfür benötigen wir finanzielle MittelGenerell erhalten wir auch Unterstützung von offizieller, kolumbianischer Seite. Üblicherweise zur Deckung von Lehrergehältern. Allerdings kommt die Unterstützung meist mit monatelanger Verspätung, sodass wir Wege der Überbrückung finden müssen.
Kannst du die anfallenden Kosten für die nächsten 2-3 Jahre grob auflisten?
Unser aktuelles, ungefähres, ideales Monatsbudget ist wie folgt:
Feste Lehrer und Gastlehrer: 9.500 €.
Betriebskosten: 1.200 €.
Auftritte und Konzerte: 1.000 €.
Mittel für Aktivitäten/Betriebsmittel: 1.600 €.
Verwaltungskosten: 1.000 €.
Die jährliche Steigerung sollte bei etwa 10 % liegen.
Welchen Zweck hatte deine Reise nach Deutschland?
Mein Sohn ist Musiker. (Er spielt Cello, hat Musik studiert und lebt derzeit in Berlin. Anmerk. Moki) Schon im Alter von 10 Jahren war es sein Traum, nach Deutschland zu kommen. Wir waren uns der Rolle bewusst, die die Musik in seiner Ausbildung gespielt hat, sowie der weltweiten Spitzenposition Deutschlands in den Bereichen Bildung und Musik. Sein Traum schuf auch unseren: Den Horizont unserer Kinder in Sincé zu erweitern, ihnen die Möglichkeit bieten, eine andere Kultur kennenzulernen und Zugang zu einem besseren Bildungsniveau zu schaffen. Aktuell bin ich gekommen, um meinen Sohn zu besuchen und Möglichkeiten zu finden, unser Projekt mit Partnern weiterzuentwickeln und – am besten langfristig – zu finanzieren.
Was hast du in Deutschland für dein Projekt gelernt?
Dass unser Traum, mit unserem Jugendorchester in Deutschland zu spielen, machbar ist – auch wenn es viel Mühe erfordert. Wir wollen unseren Kindern zeigen, dass sie einen Zugang zur Welt haben. Wenn es mir gelungen ist, können sie es auch schaffen.
Ich vertraue darauf, dass unsere Kinder etwas Großes erreichen können, so wie es junge Menschen in Deutschland tun… Auch wenn die meisten unserer Kinder bei Null anfangen.
Die Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland sind inspirierend. Nun ist es meine Aufgabe, sie in meinem Dorf bekannt zu machen, das Orchester weiter zu entwickeln und den Kindern so viele Chancen wie möglich zu bieten.
Es ist motivierend zu sehen, dass viele von uns bereit sind, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Die persönliche Begegnung und die Bekanntmachung dessen, was wir tun, verleihen ihm einen höheren Wert. Wir haben unsere Beziehung zu Moki gestärkt und wertvolle Kontakte zu Menschen und Institutionen in Berlin, Weimar, Bonn und Ingelheim geknüpft. Wir sind nicht allein.
Vor zwei Jahren haben wir begonnen, selbst eine Musik zu komponieren, die wir nach Deutschland bringen wollen. Für mich ist klar, dass unser Weg richtig ist. Gemeinsam Musik zu machen und damit unsere beiden Kontinente zusammen zu bringen, ist unser Ideal.
Wie können Kooperationen helfen?
Kultureller Austausch und finanzielle Unterstützung sind elementar. Wir sind zwei voneinander sehr entfernte Kulturen. So klein wir auch sein mögen, wir haben viel zu bieten. Ich halte Austausch und Zusammenarbeit für beide Seiten für sehr wertvoll. Freiwillige, die ihr Wissen mit uns teilen und die deutsche Kultur nach Kolumbien bringen, sind eine Priorität. Und die Lebenserfahrungen würden beide Seiten ohne Zweifel bereichern.
Unser Ziel ist es, einen lebendigen Austausch zu schaffen: Unsere Jugendlichen nach Deutschland zu bringen und deutsche Jugendliche in Sincé zu empfangen.
Wie würdest du persönlich beschreiben, was Deutschland und die hier lebenden Menschen für eure musizierenden Kinder und Jugendlichen bedeuten?
Disziplin. Organisation. Arbeiten. Selbstüberwindung. Umweltbewusstsein. Wohlstand. Freiheitliches Denken und Demokratie….. Deutschland ist eine Quelle der Inspiration. Außergewöhnliche Weiterbildungsmöglichkeiten. Ein Vorbild, an dem man sich orientieren kann.
Und man begegnet viel Solidarität. Das gibt Hoffnung. Es ist motivierend, Organisationen und Menschen zu finden, die sich wirklich für die Zukunft benachteiligter Kinder in unserem Land interessieren.
Für mich ist es überraschend, bewundernswert und es inspiriert mich, zu sehen, wie sich dieses Land erholt hat, vorankommt und in mehrfacher Hinsicht eine weltweit führende Rolle spielt.
Wie verliefen deine erste Begegnung und dein persönlicher Kontakt mit den Mitgliedern von Moki?
Es sind wunderbare Menschen. Außergewöhnlich. Sehr großzügig. Die Welt benötigt mehr solcher Menschen, die sich selbstlos für die Bedürftigsten einsetzen. Ihre einzige Belohnung für die Unterstützung der Kinder in Sincé besteht aus ihrer persönlichen Zufriedenheit. Das ist eine der bedeutendsten menschlichen Eigenschaften für mich… Meine Bewunderung dafür!
Du hast in Deutschland viele Menschen aus dem Umfeld der Musik getroffen und während deines Besuchs Konzerte wie z. B. das des Bundesjugendorchesters (BJO) in Berlin besucht. Was hat dich besonders beeindruckt, welcher Aspekt, welches Ereignis, welcher Musiker?
Das Campus Konzert der Deutschen Welle am 13. September in Berlin. Es war anspruchsvoll und inspirierend. Durch die Verschmelzung zweier Kulturen, der südafrikanischen und der deutschen jugendlichen Orchesterensembles in einem gemeinsamen Konzert, bot es mir die Möglichkeit, unsere Aktivitäten damit zu vergleichen. Unsere musikalische Arbeit, die Magie der interkulturellen Verständigung und das außergewöhnliche Potenzial, das wir aus der musikalischen Begegnung verschiedener Länder ausschöpfen können, wurden für mich bestätigt.
Es war ermutigend, denn in jedem der Gesichter der jungen Leute des Orchesters konnte ich sehen, wie sich die Gesichter unserer Kinder widerspiegelten. Unser Traum ist es, dass sie eines Tages diejenigen sind, die auf diese Bühnen gehen, ihre eigene Geschichte erzählen und der Welt zeigen, was man erreichen kann, wenn man seine Energie auf eine gemeinsame Sache konzentriert.
Was hast du konkret aus Deutschland mit nach Hause genommen, das deine Arbeit in Zukunft prägen wird?
Drei Beispiele möchte ich hervorheben:
Erstens: Mein ganzer Aufenthalt in Deutschland war eine meisterhafte Lehrstunde, für mein Leben, für unser Projekt. Ich habe zahlreiche Ideen gesammelt, um in meinem Dorf neue Bildungs-, Kultur- und Gestaltungsmöglichkeiten zu kreieren. Einige der beobachteten Aktivitäten lassen sich anpassen und implementieren, um dadurch den Kindern, ihren Familien und unserer Gemeinschaft neue Perspektiven zu eröffnen.
Zweitens: Ich möchte den kulturellen und internationalen Austausch so schnell wie möglich beginnen. Wir tun etwas sehr Wertvolles und das müssen wir zeigen. Wir wollen Ziele von größerer Tragweite verwirklichen. Dazu müssen wir Partner im Ausland gewinnen.
Ein drittes Beispiel ist die Bedeutung der Weiterentwicklung unserer Arbeit. Unsere Bemühungen sind in vielerlei Hinsicht auf Bewunderung gestoßen. Das motiviert uns, zu wachsen und bessere Ergebnisse zu erzielen.
Die Herausforderung besteht darin, vom Wunsch zur Verwirklichung zu gelangen. Das wird den wahren Wert dieser wunderbaren Erfahrungen ausmachen.
Konntest du schon Kontakte für zukünftige Partnerschaften knüpfen, und wenn ja, welche sind vielversprechend?
Ich denke, dass meine persönliche Begegnung mit Montebellos Kinder unsere Beziehung gestärkt hat. Wir haben ähnliche Ziele und engagieren uns für eine gemeinsame Sache. Mit ihrer Unterstützung werden wir unser Netzwerk in Deutschland ausbauen und neue Allianzen bilden.
Dank ihnen haben wir in Bonn in einem persönlichen Gespräch mit Herrn Sönke Lentz, dem Leiter des Bundesjugendorchesters (BJO), unser gemeinsames Interesse an der Erkundung von Möglichkeiten des Kulturaustauschs bekräftigt. Ähnliche Möglichkeiten haben mit der Universität der Künste, der Hochschule Hanns Eisler in Berlin und der Hochschule für Musik in Weimar eruiert. Wir haben einige Kontakte zu potentiellen Förderern geknüpft. Wir prüfen die Möglichkeit, einen Projektantrag bei Boehringer Ingelheim einzureichen, als Kandidaten für ihr Programm der internationalen Kampagne, Making More Health (MMH), mit dem Ziel, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Ich hätte gern noch mehr erreicht, aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit einem oder mehreren der Verbindungen sehr viel Gutes bewirken werden. Weitere geknüpfte Kontakte werde ich vertiefen.
In welchem Aspekt können Kolumbianer und Deutsche voneinander lernen und profitieren?
Eine große Bereicherung zeigt sich im Erleben kultureller Vielfalt, individuellen und gesellschaftlichen Wachstums und in der Zufriedenheit durch Lebenserfahrung im Miteinander. Aber das ist nur ein kleiner Teil.
Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass wir alle, wie unbedeutend wir auch sind, überwältigende Beiträge für andere leisten können. Nicht unbedingt offensichtlich und unmittelbar, denn viele passieren auf sehr leise Weise und oft unbemerkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben meine Eltern und andere Familien direkt, solidarisch und bedingungslos mehrere Auswanderer aus Deutschland unterstützt und aufgenommen – in Sincé, einer Stadt, die mitten im Nirgendwo liegt. Viele von ihnen kamen ohne Hab und Gut an. Dort bauten sie sich ein lebenswertes Zuhause auf und lebten glücklich. Einige blieben dauerhaft und andere kehrten Jahre später zurück. Bis heute erleben wir den Ausdruck ihrer Dankbarkeit.
Wir alle sind Teil eines komplexen Ganzen, in dem wir alle direkt (!) miteinander verbunden sind.
Heute kann Deutschland mit seiner starken Wirtschaft zweifellos eine überwältigende Unterstützung anbieten und im Rahmen unseres Projekts ein großes Vermächtnis in unserer Gemeinschaft hinterlassen – wir brauchen es!