Das Kulturprojekt In Crescendo, das wir seit Januar 2017 unterstützen, wurde vor fünf Jahren von Manuel Sierra ins Leben gerufen. Der Gründer und Projektleiter und hat uns die Geschichte der Initiative in diesem Interview geschildert:
Montebellos Kinder: Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden?
Manuel Sierra: In Crescendo erwuchs aus dem Willen, die sozialen Probleme in Sincé zu entschärfen und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. San Luis de Sincé war früher ein sehr intakter Ort. Heute sind die traditionellen Werte, die unsere Großeltern uns auf den Weg gegeben haben, in Vergessenheit geraten. Paramilitärische Einheiten, Guerilla und kriminelle Jugendbanden haben sich in diesem Gebiet breit gemacht und in den vergangenen Jahren an Macht gewonnen.
Für den sozialen Zerfall beschuldigen wir oft den Staat oder die Kirche, denn auf irgendwen möchte man mit dem Finger zeigen können. Doch kaum jemand denkt darüber nach, wie wir die Situation für uns und unsere Kinder verbessern können. Deshalb habe ich mich entschlossen, Verantwortung zu übernehmen und dazu beizutragen, die Konflikte und die fehlenden Perspektiven zu beheben.
Montebellos Kinder: Was ist das zentrale Ziel von In Crescendo?
Manuel Sierra: Ich habe mir überlegt, welche Alternativen wir für die Kinder und Jugendlichen in Sincé schaffen können, um ihre Talente zu fördern und ihre Persönlichkeit über Werte, Disziplin, Verantwortungsbewusstsein und Teamgeist zu stärken. Sie sollen befähigt werden, sich ihren Lebensweg aus zu suchen und erfolgreich zu gehen. Ihr zuversichtliches persönliches Wachstum liegt mir dabei am Herzen.
Montebellos Kinder: Was hat dich dazu motiviert, das Projekt zu beginnen?
Manuel Sierra: Mein Sohn hat mich dabei inspiriert, die Idee zu verwirklichen. Musik ist sein Leben. Ich konnte seine persönliche Entwicklung und die seiner Mitschüler beim Musikstudium beobachten. Es war ein wertvoller Prozess. Da viele seiner Unterrichtskameraden aus einkommensschwachen Familien kommen, konnte ich erleben, wie Musik den Menschen helfen kann.
Deshalb erzähle ich gerne, dass mein Sohn die Inspiration für dieses Projekt war. Dazu kam der Bedarf an alternativen Angeboten für die Kinder und Jugendlichen in meinem Heimatort. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Mit elf Jahren sind meine Eltern mit mir nach Bogotá gezogen. Sie haben sich sehr angestrengt, um mir eine gute Bildung zu ermöglichen. Dafür bin ihnen sehr dankbar. Wenn ich heute die Kinder in Sincé besuche, sehe ich mich selbst. Ich könnte einer von ihnen sein und wie die meisten Kinder in Sincé keine Perspektive haben. Sie brauchen eine Hand, die ihnen Auswege aus ihrer Situation aufzeigt. Ich bin überzeugt, dass Lernen dabei eine Schlüsselrolle spielt. Es ist eine Leiter, die einen im Idealfall ein ganzes Leben lang positiv begleitet.
Montebellos Kinder: Gibt es neben den Lehrern noch weitere Mitarbeiter?
Manuel Sierra: Die Stütze unseres Projektes ist ein starkes Team, zu dem auch sieben Väter und Mütter zählen, die uns ehrenamtlich unterstützen. Eine von ihnen ist meine Cousine. Sie kümmert sich als Geschäftsführerin um das Projekt. Zwei ihrer Kinder nehmen an den Kursen teil und motivieren ihre Mutter ganz persönlich, dieses Projekt voranzubringen.
Montebellos Kinder: Wie ist die aktuelle Situation des Projekts? Was sind die größten Herausforderungen?
Manuel Sierra: Seit Mai 2016 haben wir den rechtlichen Status als Verein In Crescendo. Wir sind weiterhin dabei, uns organisatorisch zu verbessern. Wir haben beispielsweise noch keine eigenen Räume für den Unterricht, sondern nutzen das örtliche Kulturhaus. Da es auch andere Gruppen gibt, die dort ihre Veranstaltungen durchführen, können wir nicht durchgängig dort sein. Manchmal ist es schwierig, konzentriert zu arbeiten. Unser Traum ist es, einen eigenen Sitz mit viel Platz und Ruhe zu haben.
Aktuell bemühen wir uns darum, Organisationen zu finden, die uns unterstützen oder ‚Apostel‘ zu gewinnen, die uns mit monatlichen Zuschüssen als Paten fördern. Damit möchten wir die laufenden Kosten der Lehrergehälter finanzieren. Bisher haben uns die meisten Spender, wie beispielsweise Firmen, mit einmaligen Zuwendungen für Instrumente unterstützt. Aber wir benötigen 5.000.000 kol. Pesos (ca. 1.650 €) im Monat, um die laufenden Kosten, vornehmlich Unterricht, zu bewältigen. Dadurch Kontinuität zu schaffen, ist im Moment unsere Priorität.
Montebellos Kinder: Konntet ihr bereits Erfolge und Auswirkungen von In Crescendo beobachten?
Manuel Sierra: Von den Schulen in der Umgebung haben wir viel Anerkennung für unsere Arbeit erhalten. Das liegt vor allem daran, dass die Kinder, die an unserem Musikunterricht teilnehmen, eine sehr positive Rolle an ihren Schulen einnehmen und sich durch Verantwortungsbewusstsein, Zugehörigkeitsgefühl, Respekt, Disziplin und schulischem Erfolg auszeichnen. Der positive Einfluss ist auch im Gemeindeleben spürbar. Er führt die Familien zusammen und vermittelt ihnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Bei den Proben und Konzerten kommen alle zusammen und miteinander ins Gespräch.
Das ist es, was mich motiviert. Die Kinder sehen die Welt heute aus einer anderen Perspektive. Sie erfreuen sich an den Möglichkeiten, sich weiterzubilden, zu wachsen sowie persönliche und schulische Erfolge zu erleben. Das Schönste daran ist, dass sie heute Träume entwickeln und sich positive Gedanken über ihre Zukunft machen.
Montebellos Kinder: Was bedeutet der Name In Crescendo?
Manuel Sierra: ‚In Crescendo‘ kommt aus dem Italienischen und bedeutet ‚Im Wachstum‘. Die Kinder nehmen das Motto als Anreiz zur ständigen Verbesserung. Es hat zudem eine musikalische Bedeutung und steht für ansteigende, lebhafter werdende Musik.
Montebellos Kinder: Gibt es noch weitere Aktivitäten neben der Musik?
Manuel Sierra: Das Projekt In Crescendo beinhaltet weitere Angebote wie z.B. Fußball, Schach, Englisch. Neben den Musikangeboten ist Fußball das beliebteste Angebot. 80 sehr talentierte Fußballspieler nehmen daran teil. Wir bekommen regelmäßig Besuch von Fußballschulen, die unsere Kinder beobachten. Leider gibt es für diese Angebote noch keine dauerhafte Finanzierung, weshalb wir die Mittel für ein langfristiges Engagement in diesem Sport suchen.